Was für ein Püppchen!

Und da wir schon bei der schönen italienischen Musik sind, will ich mich meines Lieblings-Canzonieres erinnern. Fred Buscaglione wirkte zur gleichen Zeit wie Modugno und hatte mit diesem noch eine Gemeinsamkeit: wie Modugno die Canzone in Richtung Pop modulierte, sucht Buscaglione die Canzone mit dem Jazz kompatibel zu machen.

Buscaglione hatte auch ansonsten eine grosse Vorliebe für Amerika. Auch für amerikanische Wagen. Das hatte ihn sogar das Leben gekostet. 1971 verursachte er in Rom mit seinem Ford Thunderbird einen Unfall, bei dem er starb.

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Die Entfremdung der Canzone

Nicht lange nach Modugnos Entfremdung der Canzone im Sinn des Pops hatte sich dieser Musikstil schon vollkommen in Pop verwandelt. Sehr schön bei Lucio Dalla in seiner `Canzone` (vom Album `Canzoni`) zu hören.

Dalla behält nur die lyrische Seite der Canzoni-Kunst (Canzoni ist übrigens Plural von Canzone). Seine Texte weisen die eigentümlich blumige Bild-Sprache der Balladen auf, Wortsymbole, die schon an sich wie Musik klingen. Ein Beispiel:

ho un materasso di parole
scritte apposta per te
e ti direi spegni la luce
che il cielo c’è

Auf Deutsch in etwa:

Ich habe einen besonderen Text für dich geschrieben
und würde dir sagen:
mach das Licht aus,
uns reicht der Himmel.

Das ist musikalische, balladeske Poesie in Vollendung, wobei man nicht vergessen darf, dass die Übersetzug nur unvollkommen die Poetik des Originaltextes wiedergibt. Wobei man noch nicht aus den Augen lassen darf, dass Italienisch eine extrem musikalische Sprache ist, vermutlich die musikalischste Sprache, die man kennt.

Die Musik aber besteht nun fast ausschliesslich aus Popelementenm und das Rhythmus wird zum tragenden Gerüst, zum massgebenden Faktor der Komposition. Das sieht man den Backgroundsängern an: schaut man sich aufmerksam ihre Interpretation an, erkennt man, dass sie fast ballettartig ist Die Beiden tanzen ja regelrecht mit(neben)einander. Dass sie mit ihren Bewegungen tänzerisch kommunizieren sieht man den Blicken an, die sie sich hier und da zuwerfen. Sie synchronisieren da ihre Bewegungen zu einem Balztanz.

Und nur noch ein Gitarren-Solo bei 2:58 erinnert noch richtig nostalgisch an die einstige italienische Melodik der Canzone.

Kungfutius wünscht Freunden und Gästen guten Rutsch und all das, was sie sich selbst von neuem Jahr wünschen.

Ciao, ciao Bambina!

Und noch 1x Modugno. Ein Jahr später, also vor genau 50 Jahren wiederholte der geniale Cantautor ebenfalls beim San Remo-Festival seinen Erfolg mit `Piove` (`Es regnet`). Das Lied wurde eigentlich noch bekannter als `Volare`.

Ciao, ciao, Bambina
un bacio ancora, e poi per sempre ti perderò…

(ein Kuss noch und dann ein Abschied für immer)
war damals echt in aller Munde.

Im übrigen taugt der Text eben wegen dieses Verses als Silvesterlied besonders gut. Nicht nur, weil sich dieses Jahr im Regen verabschiedet. Auch symbolisch. Die einstige geliebte Bambina, das alte Jahr, bekommt noch einen Kuss, dann wird sie für immer Verabschiedet.

Ein Oldie für Silvesternacht

Silvesternacht ist die Zeit der Musik. Und zwar gerade der leichten, beschwingten Muse. Besonders beliebt sind da die Oldies.

Hier nun ein spezieller Oldie-Song: `Volare` von Domenico Modugno. Eine Musik aus der Zeit, wo man den Schlager noch von einem ganzen Symphonieorchester begleiten liess.

`Volare` war die Sensation des San Remo-Festivals von 1958. Die Sensation bezieht sich weniger auf die eigentümlich poetische Lyrik des Songtextes. Die klassische Canzone ist ja in der ersten Linie ein literarisches Produkt, eine Canzone ist immer auch eine Ballade. Mehr noch wurde das Publikum durch die unkonventionelle Musik angetan, die mit der klassischen italienischen Canzone eigentlich wenig zusammen hat und bereits an die Explosion der Pop-Musik in den 60-en und 70-en Jahren vorbereitete.

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Die 3 Gesichter des Kongs

Es waren nicht die Flugzeuge. Die Schönheit hat das Biest zerstört.
(`King Kong`)

Da gab es bei RTL das neueste Remake von King Kong zu bewundern. Auch das Urvieh lasse sich in unsere Betrachtung zum Ende der Dekade einbeziehen. Es geht da um die physische Wandlung des Film-Affen. Um die Anpassung seiner Gesichtszüge an den Zeitgeist.

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Der erste grosse Kong war freilich die Cooper&Schoedsack-Version von 1933, original King Kong. Damals war schon die Geschichte an sich aufregend, da kam es nicht auf die visuelle Wirkung des Affen an. Darum bot der King von damals keine besondere Raffinesse an, er war mehr so symbolisch gedacht. Weder sind seine Bewegungen besonders glatt gewesen, noch war seine Mimik irgendwie ausgefeilt. (Wenn ich mich nicht irre, beherrschte der Kong von damals nur einen einzigen Gesichtsausdruck: ein ziemlich dämliches Staunen.)

Die zweite Version war die von John Guillermin 1976 mit der gelungensten weissen Frau, Jessica Lange. Die passte am besten in die Kong-Geschichte, weil sie nicht nur Sympathie für den Kerl zeigte, sondern mit ihm regelrecht flirtete. Aber das lag natürlich am Kong selbst. Der war ein Bisschen nostalgisch angehaucht und hatte den Charme eines schrecklich behaarten Rudolf Valentino.

Diese Latin Lover-Kong war ein Ausdruck des Zeitgeistes. Da war es zu der Grossen Ölkrise des Systems gekommen, zu den ersten Krise, die nach dem 2 WK die Welt bedrohte, man begann zu ahnen, dass es mit der Harmonie des Kalten Krieges vorbei ist und man bald mit vereinigten Kräften ums Überleben kämpfen wird. Da ist schon typisch, dass es gerade da zum nostalgischen Remake der Abenteuergeschichte kommt, und noch typischer nostalgische Erinnerung an einen der grössten Helden Hollywoods, zu der Zeit, wo Hollywood am grössten war.

Und Peter Jacksons Version von 2005 ist an sich die beste und spannendste Geschichte, weil das Abenteuer hier durch die technische Raffinesse und Computertrick noch um einiges aufgewertet wurde. Sie bietet aber auch den bösesten Kong aller Zeiten. Das liegt natürlich an den Möglichkeiten des Computers, der selbst auf dem affigsten Gesicht auch die extremsten Gefühle herzaubern kann. Doch es fällt auf, dass der Affe von heute viel lieber bösen Gesichtsausdruck zeigt. Bis zu den Endszenen, wo er zur Frau zärtlich wird, geht er mit seiner Mimik kaum auf sie ein.

Und das ist natürlich auch der Einfluss des Zeitgeistes. Unsere Zivilisation befindet sich in einer vitalen Krise, niemand weiss, wie das weitergehen soll, und der Zeitgeist verharrt in einem verbissenen, aggressiven agieren, das sich dann selbst bei Hollywood-Affen beobachten lasse.

Robinson – einst und heute

Weihnachten ist auch was es des Fernsehens angeht, der absolute Höhepunkt des Jahres. Nie ist das Programm reichhaltiger, ausgelesener und erträglicher. Das ist Tradition aus den Anfängendes Fernsehens, wo man sich noch bemühte, das Publikum tatsächlich zu verwöhnen. Berühmt hier die weihnachtlichen 4-Teiler, für jeden Adventsonntag einer, lauter grossen Themen, meist Abenteuern oder Klassik. Wie etwa der legendäre Seewolf mit dem Weichei Harmstorf*, der da sehr überzeugend den harten Kerl spielte.

Die Zeiten sind nun vorbei, doch immer noch bemühen sich die Sender, wenigstens in der Weihnachtszeit ein gewisses Niveau zu halten. Auch in diesem Jahr gab es einiges sehenswertes. Das interessanteste sicher `King Kong` (3.0), und dann noch der interessante Robinson-Verschnitt `Cast Away`. Und zwar, nicht nur, weil das der einzige ernstzunehmende Film bei den Rechtlich-Öffentlichen war, also ohne diese kranke Werbung lief, sondern, weil das eben eine sehr interessante Interpretation der Robinson-Geschichte ist.

Interessant in einem anthropologischen Sinn. Sie ermöglicht uns ein Vergleich zwischen den Menschen des 17. Jahrhunderts und den Menschen knapp 400 Jahre später, am Anfang des 21. Jahrhundert.

Es gibt einen grossen technischen Unterschied zwischen Tom Hanks und Robinson Crusoe. Dieser ist noch ein armseliger Mensch Gottes, wird darum beim Schiffbruch von seinem Gott mit allem nötigen Versorgt, was ein gelungene Schiffbrüchiger auch haben muss, um 28 Jahren auf einer unbewohnten Insel zu überleben und einen gelungenen Robinson abzugeben. Alsdann: Werkzeuge, Waffen samt dazugehöriger Munition, einiges an Utensilien und Materialien (so Feuerstein oder Kerzenwachs), uvam, also eine komplette Survival-Ausrüstung, mit der sich auch auf der einsamsten Insel gut überleben lasse. Natürlich ist das ein Zufall, dass Robinsons Schiff so glücklich strandet, damit der junge Mann die Ladung gut auswerten kann, aber das sah der gottergebene Mensch der Vergangenheit als eine Gnade und Gabe Gottes.

Hanks aber ist ein moderner Amerikaner. Er glaubt nur noch als Maulheld, Kraft Lippenbekenntnis, an Gott. Sein Geist ist gottlos, er weiss, dass er nur durch eine machiavellistische Pragmatik in seiner neuen, gottlosen Welt (Gott ist ja tot) bestehen vermag.

Also kann er auch vom Gott nichts bekommen, weil es Gott für ihn nicht mehr gibt.

Und so bekommt er nur diese dämlichen FedEx-Pakete, für die er um ein Haar das Leben gelassen hatte. Da sind dann Videokassetten, sinnlose Aktenmappen, Ballkleider, Schlittschuhe, Fussbäller und sonstiger Schrott, der in einer Zivilisation sicher einigen Wert hat, verwandelt sich auf einer einsamen Insel, mangels Infrastruktur in Gerümpel. Zwar ist auch dieser Kruscht verwendbar, das aber nur zweckentfremdet (Videobänder als Bindeseile), auf äusserst mühsame und grundsätzlich auch lächerliche Wese, Das ist gut sichtbar in den Szenen, wo der moderne Robinson die Kufe der Schlittschuh als Messer benutzt.

Die Entlarvung der Nichtsnutzigkeit der Konsumgüter ist freilich eine kritische Dimension dieses spannenden Films. Sie zeigt unseren Konsum als absoluter Pipifax und Schrott, die man zwecks guten Überlebens und Lebensglückes überhaupt nicht brauchen kann.

Es lasse sich noch ein Unterschied zwischen dem 17. und 21. Jahrhundert feststellen. Der Mensch von früher war ein Selbstversorger (müsste es sein, weil die Infrastruktur noch nicht installiert war – jeder hatte sich um sich selbst zu sorgen. So hat Robinson absolut keine Schwierigkeiten, den Fuss zu fassen, sobald er auf der Insel strandet. Er baut seine Behausung aus, er betreibt Landwirtschaft und Viehzucht, er versucht sich als Schmied, Schneider ja sogar als Regenschirmmacher. Er kann das alles, und zwar nicht nur, weil er besser ausgerüstet ist, als Tom Hanks, sondern weil er eben ein Selbstversorger ist, und weiss wie das geht.

Tom Hanks aber, der bewegte sich sein Lebtag in einer Infrastruktur mit absolut ausgefeilten und abgestuften Arbeitsteilung. Da beherrscht man zwar das eigene Metier mit einer wahnwitzigen Sicherheit, immerhin ist man ein hoch gebildeter Spezialist. (Der aber nur in seltensten Fällen kein Rädchen in Getriebe ist und die Maschine in ihrer, Gesamtheit zu überblicken vermag und sogar ihren Sinn begreift.) Klarer Fall, dass so einer kein Allroundmann sein kann; er hat keine Ahnung, wie der Job seines Nachbars funktioniert.
Darum kann Robinson auf der Insel heimisch werden, während Hanks alles darauf setzt, von der verfluchten Insel weg zu kommen. Infolge seiner zivilisatorischen Überkonditionierung kann er eben nur in einer vollkommen geregelten Welt bestehen, die ihm mit der Automatik ihrer Vorgänge das Überleben absichert.

Der Film wies einiges an Unlogik auf. So das Feuermachen. Warum so mühsam, das ginge auch einfacher. Ein so hoch gebildeter Mensch würde einfach etwas trockenen Grasses in den Brennpunkt eines Tautropfens in der Sonne halten. Das ist so gut wie ein modernes Einwegfeuerzeug.

Kommen wir aber noch mal zu der Relation, die dieser moderne Robinson zum Gott hat. Eigentlich braucht er nichts vom Gott. Er ist ein moderner Amerikaner, also kennt er sich mit dem Überleben besser aus als Gott. Das ist gleich am Anfang sichtbar, wo er seine erste Kokosnuss zu öffnen sucht, und dabei in einigen Minuten die ganze Genealogie der Steinwerkzeugsbau nachvollzieht. Er kann das, da er eben die Funktionsweise (der Werkzeuge) intus hat. So gut wie jeder von uns weiss in etwa, wie man ein Werkzeug aus Stein bauen könnte.

Und doch erfindet er sofort die Religion, indem er (ach so typisch) den Fussball zum Götzen macht, zum Abbild Gottes. (Allerdings er gibt ihm einen total lächerlichen Namen, er nennt ihn Wilson und betrachtet ihn mehr so als einen Kumpel.) Dieser Akt des Neuerfindens von Religion, der Verfall in den blanken, stupiden Glauben, macht uns nur deutlich, wie schlimm die Indoktrination durch das System ist, die wir erleiden. Eben ein moderner Mensch (mit der Allmacht der Massmedien aufgewachsen) muss Religion erfinden, denn er ist nicht frei,. Er ist durch Massmedien erzogen, an bestimmte (heilige) Werte zu glauben. Er ist also noch nicht das, was er seit der Explosion der Atombombe und Kaltem Krieg (wo die faschistischen Strukturen der beiden Systeme, die Totalität der hierarchischen Politik für alle deutlich sichtbar wurden) sein sollte – er ist kein freies Individuum, der nur noch an sich glaubt. Einem Amerikaner – und heute sind wir alle Amerikaner -, wurden so viele, so tief greifende Vorurteile aufgebürdet und verkauft, dass er daran einfach glauben muss. Und da Gott das absolute Symbol des Glaubens ist, muss man ihn erfinden, wenn man ihn quasi `braucht`.

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Kumpel-Gott Wilson

Interessant: Hanks macht seinen Götzen aus seinem Blut. Anders als Gott also, der den Menschen absichtlich als niedriges Wesen machte, indem er zu seiner Produktion ein Stück Adama**, ein Stück Lehm (= Dreck) nahm, produziert Hanks mit seinem Wilson tatsächlich ein höheres Wesen, denn er bemalt den Ball mit seinem Blut. Meint, er gibt seiner Schöpfung seine Seele. Das ist auch als Symbol der Veredelung zu verstehen.

Der Film entstand am Anfang dieser Dekade, und ist schon typisch für diese. Genau wie Hanks befinden wir uns, jeder für sich, auf einer ureigener einsamen Insel der Individualität – und haben da zu überleben.

*Weichei in der Tat. Er beging Selbstmord, und nur die Weicheier oder Dummköpfe bringen sich um.
Es gibt zwar auch die Fälle, wo Selbstmord im Sinn der Lebensqualität wirkt (wenn man alt und gebrechliche ist, und den anderen zur Last fällt), aber der Harmsdorf war weder Krank noch im Alter, wo man nicht mehr für sich sorgen kann.

**Adama = hebräisch für Lehm, Ton

Silvesterknallerei und der Weltuntergang

Ein paar Worte über den Ursprung unserer beliebten Silvesterknallerei.

Dieser Brauch entstamme keinesfalls dem Versuch, die bösen Geister zu vertreiben, wie das im Allgemeinen angenommen wird. Wenigstens in Europa nicht. Die alljährliche Vertreibung der Geister durch den Lärm und Krach ist ein rein chinesischer Brauch, der Europäer poltert jedoch aufgrund der christlichen Zeitrechnung und aus dem Gefühl der Erleichterung.

Die Europäer hatten solchen Lärm zum ersten Mal am Anfang des Jahres 1000 gemacht. Jenes Jahr nämlich wurde in der christlichen Welt mit grösster Spannung erwartet: die volle Zahl verkündete nach Meinung der, wohl fast aller, Menschen, und sogar der angesehensten Theologen, das Ende der Welt. Die Mystik der Zahlen erlebte gerade im symbolischen Denken des hohen Mittelalters eine Wahnsinnskonjunktur, vergleichbar mit der Hausse der modernen Börsen. Dieser Vergleich ist sehr gut, denn in den beschaulichen, kleinen, überschaubaren Dimensionen des Mittelalters hatte die Zahl Tausend eine Grenzbedeutung. Tausend, das war ein Limit an der Schwelle der Unvorstellbarkeit, in etwa so, wie dem modernen Menschen, auf Grossartigkeiten und grosse Zahlen und grosse Verhältnisse angepasst, erst die Zahl Milliarde so eine Grenzerfahrung des Nichtvorstellbares darstellt und einen heiligen, fast jenseitigen, Schauer verursacht.

Und da solche, so zu sagen finale, Zahlen sich vortrefflich für die abschliessende Bilanz eignen, war das kein Wunder, dass sich der Mensch des Mittelalters schon brutal sicher war, dass mit den letzten Augenblicken des Jahres 999 die Welt untergehen und das Jüngste Gericht sein Walten aufnehmen wird – etwas mehr als Tausend könnte man sich überhaupt nicht vorstellen…

Und da geschahen in Europa seltsame Dinge.

Angeblich lebte man weder früher noch später in einer besseren Welt als in den letzten Jahren des ersten Jahrtausends. Wie die Chronisten das einstimmig berichten, versuchte man sein Dasein vollkommen sündenlos zu gestalten. Die Bettler und sonstigen Bedürftigen erlebten eine Zeit der stürmische Nächstenliebe, man war ehrlich, man hütete sich vor der bösen Nachrede, es gab keine Streitereien, keine Beleidigungen, keine Rache… Kurz und gut: Europa hatte nur absolut gute Menschen vorzuweisen – jeder versuchte noch in der letzten Sekunde auf den fahrenden Zug aufzuspringen und sich seinen Platz im Paradies abzusichern.

Wie es dem auch sei: das Jahr 999 ging vorüber und das Jahr 1000 hob an, ohne dass etwas Besonderes geschah. Als dann die Menschen, die blass vor Schrecken und bewegt vor Rührung, auf das schreckliche Ereignis des Weltunterganges warteten nach und nach begriffen, dass die Welt nicht einmal im Traum an einen Untergang dachte, brach die Freude der Erleichterung aus. Keiner war sich nämlich sicher, ob er auch genug `ein guter Mensch` war, oder ob ihn doch die Ewigkeit der Hölle erwartete, also freuten sich alle, als der furchtbare Gerichtstermin doch noch ausblieb. In der Euphorie, die bekanntlich in bestimmten Situationen nach einem starken (Angst)Affekt auszubrechen pflegt, begannen die Menschen zu lachen, zu johlen, zu singen, brüllen und schreien; man nahm die Rasseln und Pauken und schaffte mit dem Lärm Ventile für jene riesige Erleichterung.

Am nächsten Jahresultimo erwartete man zwar das Ende der Welt immer noch (vielleicht geht die Welt erst am Ende des Tausends unter), doch nicht mehr mit einer solchen überzeugten Inbrunst. Auch die Lärminstrumente hatte man bereits bei der Hand, um sie, sobald es feststand, dass man auch diesmal verschont bleiben sollte, zwecks Erleichterung einzusetzen. Und dieser Brauch setzte sich fort, wurde immer beliebter, besonders als man den Schwarzpulver und Feuerwerk bekam. Irgendwann verlor sich die Erinnerung daran, warum man den Lärm überhaupt machte.

ZDJ / GamEdeD – Das grausamste Video der ersten dekade

Zwischen den Jahren

Gedanken am Ende der ersten Dekade

(des 21. Jahrhunderts)

Horror am späten Abend. Noch nie war die Internet-Video-Kunst so brutal grausam.

Warnung!!! Ist wirklich nichts für schwache Nerven!!!

Da können sich sogar die grausamsten Ami-Horror-Filme noch eine dicke Scheide von abschneiden. Man bedenke also, ob man nach diesem Filmchen noch schlafen können wird. Alpträume sind jedenfalls garantiert.

http://www.metacafe.com/fplayer/3930911/birthday_gift_for_a_teacher.swf

ZDJ / GamEdeD 12 – Hell Lost

Zwischen den Jahren

Gedanken am Ende der ersten Dekade

(des 21. Jahrhunderts)

Was für diese Dekade so typisch war, sind schaurige Nachrichten gewesen. Sie klangen so grausam, als hätte man sie mit der versteckten Kamera gedreht. Terror und Naturkatastrophen taten was sie nur können, damit es uns niemals langweilig wird. Bei uns ging es ab, wie in einem Spaghetti-Western: jeder gegen jeden und Gott gegen alle. (Nur die Musik war nicht so schön, wie die von Enrico Morricone.)

Ja, so geht nun diese erste Dekade des 3. Millenniums mit der Silvesterknallerei zu Ende – und alle fragen sich, wie das wohl weitergehen soll.

Denn diese Dekade war alles als viel versprechend. The Times nannte sie `Höllenjahrzent` und der Spiegel `verlorene Jahren`. Beide Benennungen haben was für sich. Sowohl Höllenjahrzehnt wie verlorene Jahren weisen auf die Sturheit und Unflexibilität der Politik hin, die sich in neuen Verhältnissen überhaupt nicht zu orientieren weiss, und in ihren Bestrebungen, status quo der nationalen Politik zu behalten, jegliche Weiterentwicklung der Gesellschaft verhindert.

Wir dürfen uns also auf noch viele solche schaurigen Endzeitdekaden einstellen.

Die sportliche Politik

Für das kommende Jahr verspricht man uns, wird das ein Sportjahr sein. (Uns erwarten ja Winterolympiade und Fussball-WM und noch einige solche Grossereignisse. Rekorde und Dopingskandale werden nur so purzeln.)

Da wird uns die Politik also mit dem Sport regelrecht erschlagen. Ein Bisschen Hart(z)brot und viel Spiele will man uns geben, damit bei dem grossen Spiellärm niemand hört wie die leeren Magen knurren.