Weihnachten ist auch was es des Fernsehens angeht, der absolute Höhepunkt des Jahres. Nie ist das Programm reichhaltiger, ausgelesener und erträglicher. Das ist Tradition aus den Anfängendes Fernsehens, wo man sich noch bemühte, das Publikum tatsächlich zu verwöhnen. Berühmt hier die weihnachtlichen 4-Teiler, für jeden Adventsonntag einer, lauter grossen Themen, meist Abenteuern oder Klassik. Wie etwa der legendäre Seewolf mit dem Weichei Harmstorf*, der da sehr überzeugend den harten Kerl spielte.
Die Zeiten sind nun vorbei, doch immer noch bemühen sich die Sender, wenigstens in der Weihnachtszeit ein gewisses Niveau zu halten. Auch in diesem Jahr gab es einiges sehenswertes. Das interessanteste sicher `King Kong` (3.0), und dann noch der interessante Robinson-Verschnitt `Cast Away`. Und zwar, nicht nur, weil das der einzige ernstzunehmende Film bei den Rechtlich-Öffentlichen war, also ohne diese kranke Werbung lief, sondern, weil das eben eine sehr interessante Interpretation der Robinson-Geschichte ist.
Interessant in einem anthropologischen Sinn. Sie ermöglicht uns ein Vergleich zwischen den Menschen des 17. Jahrhunderts und den Menschen knapp 400 Jahre später, am Anfang des 21. Jahrhundert.
Es gibt einen grossen technischen Unterschied zwischen Tom Hanks und Robinson Crusoe. Dieser ist noch ein armseliger Mensch Gottes, wird darum beim Schiffbruch von seinem Gott mit allem nötigen Versorgt, was ein gelungene Schiffbrüchiger auch haben muss, um 28 Jahren auf einer unbewohnten Insel zu überleben und einen gelungenen Robinson abzugeben. Alsdann: Werkzeuge, Waffen samt dazugehöriger Munition, einiges an Utensilien und Materialien (so Feuerstein oder Kerzenwachs), uvam, also eine komplette Survival-Ausrüstung, mit der sich auch auf der einsamsten Insel gut überleben lasse. Natürlich ist das ein Zufall, dass Robinsons Schiff so glücklich strandet, damit der junge Mann die Ladung gut auswerten kann, aber das sah der gottergebene Mensch der Vergangenheit als eine Gnade und Gabe Gottes.
Hanks aber ist ein moderner Amerikaner. Er glaubt nur noch als Maulheld, Kraft Lippenbekenntnis, an Gott. Sein Geist ist gottlos, er weiss, dass er nur durch eine machiavellistische Pragmatik in seiner neuen, gottlosen Welt (Gott ist ja tot) bestehen vermag.
Also kann er auch vom Gott nichts bekommen, weil es Gott für ihn nicht mehr gibt.
Und so bekommt er nur diese dämlichen FedEx-Pakete, für die er um ein Haar das Leben gelassen hatte. Da sind dann Videokassetten, sinnlose Aktenmappen, Ballkleider, Schlittschuhe, Fussbäller und sonstiger Schrott, der in einer Zivilisation sicher einigen Wert hat, verwandelt sich auf einer einsamen Insel, mangels Infrastruktur in Gerümpel. Zwar ist auch dieser Kruscht verwendbar, das aber nur zweckentfremdet (Videobänder als Bindeseile), auf äusserst mühsame und grundsätzlich auch lächerliche Wese, Das ist gut sichtbar in den Szenen, wo der moderne Robinson die Kufe der Schlittschuh als Messer benutzt.
Die Entlarvung der Nichtsnutzigkeit der Konsumgüter ist freilich eine kritische Dimension dieses spannenden Films. Sie zeigt unseren Konsum als absoluter Pipifax und Schrott, die man zwecks guten Überlebens und Lebensglückes überhaupt nicht brauchen kann.
Es lasse sich noch ein Unterschied zwischen dem 17. und 21. Jahrhundert feststellen. Der Mensch von früher war ein Selbstversorger (müsste es sein, weil die Infrastruktur noch nicht installiert war jeder hatte sich um sich selbst zu sorgen. So hat Robinson absolut keine Schwierigkeiten, den Fuss zu fassen, sobald er auf der Insel strandet. Er baut seine Behausung aus, er betreibt Landwirtschaft und Viehzucht, er versucht sich als Schmied, Schneider ja sogar als Regenschirmmacher. Er kann das alles, und zwar nicht nur, weil er besser ausgerüstet ist, als Tom Hanks, sondern weil er eben ein Selbstversorger ist, und weiss wie das geht.
Tom Hanks aber, der bewegte sich sein Lebtag in einer Infrastruktur mit absolut ausgefeilten und abgestuften Arbeitsteilung. Da beherrscht man zwar das eigene Metier mit einer wahnwitzigen Sicherheit, immerhin ist man ein hoch gebildeter Spezialist. (Der aber nur in seltensten Fällen kein Rädchen in Getriebe ist und die Maschine in ihrer, Gesamtheit zu überblicken vermag und sogar ihren Sinn begreift.) Klarer Fall, dass so einer kein Allroundmann sein kann; er hat keine Ahnung, wie der Job seines Nachbars funktioniert.
Darum kann Robinson auf der Insel heimisch werden, während Hanks alles darauf setzt, von der verfluchten Insel weg zu kommen. Infolge seiner zivilisatorischen Überkonditionierung kann er eben nur in einer vollkommen geregelten Welt bestehen, die ihm mit der Automatik ihrer Vorgänge das Überleben absichert.
Der Film wies einiges an Unlogik auf. So das Feuermachen. Warum so mühsam, das ginge auch einfacher. Ein so hoch gebildeter Mensch würde einfach etwas trockenen Grasses in den Brennpunkt eines Tautropfens in der Sonne halten. Das ist so gut wie ein modernes Einwegfeuerzeug.
Kommen wir aber noch mal zu der Relation, die dieser moderne Robinson zum Gott hat. Eigentlich braucht er nichts vom Gott. Er ist ein moderner Amerikaner, also kennt er sich mit dem Überleben besser aus als Gott. Das ist gleich am Anfang sichtbar, wo er seine erste Kokosnuss zu öffnen sucht, und dabei in einigen Minuten die ganze Genealogie der Steinwerkzeugsbau nachvollzieht. Er kann das, da er eben die Funktionsweise (der Werkzeuge) intus hat. So gut wie jeder von uns weiss in etwa, wie man ein Werkzeug aus Stein bauen könnte.
Und doch erfindet er sofort die Religion, indem er (ach so typisch) den Fussball zum Götzen macht, zum Abbild Gottes. (Allerdings er gibt ihm einen total lächerlichen Namen, er nennt ihn Wilson und betrachtet ihn mehr so als einen Kumpel.) Dieser Akt des Neuerfindens von Religion, der Verfall in den blanken, stupiden Glauben, macht uns nur deutlich, wie schlimm die Indoktrination durch das System ist, die wir erleiden. Eben ein moderner Mensch (mit der Allmacht der Massmedien aufgewachsen) muss Religion erfinden, denn er ist nicht frei,. Er ist durch Massmedien erzogen, an bestimmte (heilige) Werte zu glauben. Er ist also noch nicht das, was er seit der Explosion der Atombombe und Kaltem Krieg (wo die faschistischen Strukturen der beiden Systeme, die Totalität der hierarchischen Politik für alle deutlich sichtbar wurden) sein sollte – er ist kein freies Individuum, der nur noch an sich glaubt. Einem Amerikaner und heute sind wir alle Amerikaner -, wurden so viele, so tief greifende Vorurteile aufgebürdet und verkauft, dass er daran einfach glauben muss. Und da Gott das absolute Symbol des Glaubens ist, muss man ihn erfinden, wenn man ihn quasi `braucht`.
Kumpel-Gott Wilson
Interessant: Hanks macht seinen Götzen aus seinem Blut. Anders als Gott also, der den Menschen absichtlich als niedriges Wesen machte, indem er zu seiner Produktion ein Stück Adama**, ein Stück Lehm (= Dreck) nahm, produziert Hanks mit seinem Wilson tatsächlich ein höheres Wesen, denn er bemalt den Ball mit seinem Blut. Meint, er gibt seiner Schöpfung seine Seele. Das ist auch als Symbol der Veredelung zu verstehen.
Der Film entstand am Anfang dieser Dekade, und ist schon typisch für diese. Genau wie Hanks befinden wir uns, jeder für sich, auf einer ureigener einsamen Insel der Individualität und haben da zu überleben.
*Weichei in der Tat. Er beging Selbstmord, und nur die Weicheier oder Dummköpfe bringen sich um.
Es gibt zwar auch die Fälle, wo Selbstmord im Sinn der Lebensqualität wirkt (wenn man alt und gebrechliche ist, und den anderen zur Last fällt), aber der Harmsdorf war weder Krank noch im Alter, wo man nicht mehr für sich sorgen kann.
**Adama = hebräisch für Lehm, Ton